25. März 2024

«Schauen, schauen, schauen!»

Auf dem Portrait ist Gisèle Linder von vorne zu sehen. Ihr Blick ist nach oben gewendet und sie trägt eine Kette aus Reifen um den Hals.
Gisèle Linder. Foto: © Ute Schendel

Seit 40 Jahren betreibt Gisèle Linder ihre Galerie an der Elisabethenstrasse und feiert dieses Jubiläum mit einer Überraschungsausstellung und einer Publikation. Wir haben Gisèle zum Schnellinterview getroffen und sie gefragt, welche Rolle der Zufall in ihrem Leben spielt.

Liebe Gisèle, an was arbeitest Du gerade?

GL: «Mitte August feiert die Galerie ihr 40-jähriges Bestehen. Verschiedene Künstler:innen haben mich gefragt, ob ich zum Jubiläum etwas mache. Und da kam mir die Idee, eine Ausstellung zu planen, die sich erst nach und nach zusammensetzt, indem sie alle zwei Wochen durch ein neues Werk ergänzt wird. Deswegen heisst meine aktuelle Ausstellung «Surprise» und feiert alle 14 Tage wieder Vernissage. Komplett wird die Ausstellung erst am 24. August sein. Es sind nicht nur aktuelle Künstler:innen der Galerie zu sehen, sondern auch weitere, deren Werke mich berühren - und so entsteht auch eine gewisse Dynamik. Dazu einen Katalog zu machen, fand ich zu langweilig und deswegen habe ich mich dazu entschieden, zum Jubiläum eine Publikation über die Geschichte der Galerie zu machen.»

Deine aktuelle Ausstellung lässt sich also voll und ganz auf den Zufall ein. Welche Rolle spielt der Zufall im Leben einer Galeristin?

GL: «Je älter man wird, desto weniger Zufall lässt man zu. Oder um es anders zu sagen, desto kritischer wird man. Früher habe ich mich schneller entschieden, welche Künstler und Künstlerinnen mich interessieren. Positiv gewendet heisst das wiederum: Man ist mit dem Alter sicherer, hat schon Fehler gemacht, aus denen man lernen konnte. Aber die aktuelle Ausstellung ist nun doch wieder ein Experiment, bei dem ich nicht weiss, was am Ende herauskommt - denn ich weiss nicht, welche Werke die Kunstschaffenden bringen. Zufälle sind eigentlich immer schön - vor allem, wenn es sich dabei um Begegnungen handelt.»


Was sind die Meilensteine der Galerie Linder im Rückblick?

GL: «Im Moment schaue ich tatsächlich viel zurück, weil ich für die Vorbereitung der Publikation alle Dossiers meiner Ausstellungstätigkeit durchschaue. In den Archivmaterialien zeigt sich schon, dass es eine Entwicklung gab. Bei den ersten Ausstellungen konnte ich nur rudimentär dokumentieren, da professionelle Fotos damals noch zu teuer waren. Ich konnte viele gute Künstler:innen repräsentieren und habe mich auch oft sehr spontan für sie entschieden. Meistens sind daraus dann auch Freundschaften entstanden. Eine schöne Erinnerung ist auch der Besuch eines Ehepaars, das eines Tages in die Galerie kam. Es stellte sich heraus, dass es sich um Carl Andre und seine Frau handelte (‹Hello, I’m Carl Andre›). Er wollte mir sein Werk in der Kunsthalle zeigen und daraus hat sich dann auch ergeben, dass ich mit ihm seinen 70. Geburtstag in New York gefeiert habe. Das ist zum Beispiel eine Begegnung, die aus einem Zufall entstanden ist.»

Auf dem Trottoir stehen viele Leute in sommerlicher Kleider vor der Galerie Gisèle Linder.
Aus dem Archiv: Vernissage bei der Galerie Gisèle Linder an der Elisabethenstrasse. Foto: © Serge Hasenböhler


Wie hat sich die Basler Kunstszene in den letzten 40 Jahren verändert?

GL: «Die Szene hat sich zu wenig entwickelt - es gab eher wenige junge Galerien, die etwas Dynamik ins Spiel gebracht hätten. Dabei wäre es wichtig, dass es mehr Impulse gäbe in der Galerieszene, denn Basel hat kulturell so viel zu bieten: Überproportional viele hochstehende Institutionen unterstützt von einem starken Mäzenatentum. Die Hightime für die Galerien war und ist natürlich immer die Art Basel, an der ich auch dieses Jahr ausstelle und an der es zu Beginn immer viel Skurriles zu sehen gab - es war komplett anders als heute!»


Du kommst ursprünglich aus Le Locle. Wie hat sich Deine Beziehung zu Basel über die Jahre entwickelt?

GL: «Ich bin wirklich sehr verbunden mit Basel, auch wenn der Anfang schwer war. Zu Beginn meiner Tätigkeit war ich noch angestellt und habe mich nach dem Feierabend der Galerie gewidmet. Auch der Röstigraben hat sich bemerkbar gemacht und ich wurde immer wieder mal angefeindet wegen meiner Welschweizer Herkunft. Aber ich bereue nichts und ich habe hier sehr viele Freund:innen, die mich immer unterstützen.»

In einem weissen Raum sind drei Kunstwerke zu sehen. Links eine säulenartige Struktur, in der Mitte zwei Luftballons und rechts eine Neonarbeit.
Galerie Gisèle Linder. Ausstellung Clare Kenny, 2022. Foto: © Serge Hasenböhler


Zum Schluss: Wie kommen junge Menschen zur Kunst?

GL: «Wenn Räume als öffentlich verstanden werden, dann kommen auch die Jungen. Zum Beispiel ins Foyer Public vom Theater Basel oder auch während den Kunsttagen. Ich stelle jedoch fest, dass es einen Generationengap gibt - junge Käufer:innen zu finden ist schwieriger geworden. Aber vor allem empfehle ich allen, die sich mit Kunst auseinandersetzen wollen: Schauen, schauen, schauen! Nur dann kann man Vergleiche ziehen und über Kunst ins Gespräch kommen.»

März 2024

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Vierzig Jahre Galerie Gisèle Linder. Fünfzehn Ausstellungen. Alle zwei Wochen Vernissage von 16 - 20h.

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Die Galerie Gisèle Linder feiert in diesem Jahr ihr 40-jähriges Bestehen. Alle zwei Wochen wird ein neues Werk der Jubiläumsausstellung enthüllt. Nächstes Mal am 10. April 2024 von 16 - 20h. In der «Chambre Jaune» im Untergeschoss liegen zusätzlich kleinere Arbeiten aus der Sammlung der Galerie aus.

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