6. Juni 2023

«It's so hard to get old without a cause»

Gina Folly. Photo Credit: Julian Salinas

Interview mit Gina Folly & Alice Wilke zur Ausstellung «Gina Folly - Autofokus. Manor Kunstpreis 2023»

Wo früher die Werke von Joseph Beuys ausgestellt waren, ist aktuell die Einzelpräsentation der Manor-Kunstpreisträgerin Gina Folly zu sehen. Im Interview mit der Künstlerin und der Kuratorin der Ausstellung haben wir über den Wert von Arbeit gesprochen und wieso es für den Kunstpreis gerade noch gereicht hat.


In der in den Ausstellung gezeigten Fotografien sind ältere Männer und Frauen bei der Bewältigung von Hausarbeiten zu sehen: Katzen füttern, Kleider flicken, Rosen zurückschneiden. Im Text zur Ausstellung erfahren die Besucher:innen, dass es sich bei den gezeigten Personen um pensionierte Dienstleistende des Vereins Quasitutto handelt, der Auftragsarbeiten ausführt. Wer sind die gezeigten Menschen? In welcher Beziehung stehst Du zu ihnen?

GF: «Nachdem ich über den Erhalt des Manor-Preises benachrichtigt wurde, der mit einer Ausstellung hier in Basel verbunden ist, wo ich sowohl als Künstlerin, als auch als Fotografin tätig bin, war das die Möglichkeit, meine beiden Tätigkeiten in die Ausstellung einfliessen zu lassen. Es ist unter anderem meine Arbeit als Fotografin, die mich immer wieder in neue Situationen bringt, die mich stimulieren und meine Neugierde stillen. In diesen Momenten erhalte ich auch Inputs für meine künstlerischen Arbeiten. Meine beiden Tätigkeiten, die ich bisher trennte, wollte ich nun für diese Ausstellung miteinander verbinden. Die Idee war schon länger da, die Frage war nur wie umsetzen. So kam ich auf die Idee, den Verein Quasitutto, deren Mitbegründerinnen ich schon lange kenne, zu dokumentieren. Die Mitglieder des Vereins sind alle pensioniert und zwischen 65 und 80 Jahre alt. Sie erledigen, wie der Name sagt, fast alles, von Garagenräumungen, Lampen montieren bis zu diversen Reparaturarbeiten. Dieses Konzept hat mich schon länger fasziniert und ich konnte die Personen während einem dreiviertel Jahr bei ihrer Arbeit begleiten.»

Obwohl unsere Bevölkerung immer älter wird, ist Alter gewissermassen ein Tabuthema - auch von Ageism ist die Rede. Wieso interessierst Du Dich für dieses Thema?

GF: «Es geht mir in den Arbeiten nicht um das Thema Älterwerden, sondern um das Bedürfnis gebraucht zu werden. Ich kenne das von mir selber - in verschiedenen Beziehungen: Ich will gebraucht werden und ich brauche Projekte, etwas das mich beschäftigt, um als Künstlerin zu existieren.»

AW: «Ich denke, wir müssen uns als Gesellschaft fragen, was identitätsbildend ist. Und gerade in einer Leistungsgesellschaft wie unserer, ist Identität eben ganz stark an bezahlte Arbeit gebunden. Offen ist nur, wie wir dann mit den Menschen umgehen, die nach der Pension nicht mehr für bezahlte Arbeit gebraucht werden und so teilweise auch wichtige soziale Anknüpfungspunkte verlieren. Eine Strategie, auf diese gegenwärtige Wertestruktur in unserer Gesellschaft zu reagieren, ist es zum Beispiel, sich wie die Vereinsmitglieder wieder in den Arbeitskreislauf einzuspeisen.»

GF: «Diese Dynamik, der Validierung durch Arbeit, ist vor allem in unseren Breitengraden sehr ausgeprägt – und in der Schweiz leben die meisten Menschen in Singlehaushalten. So ist auch das familiäre Eingebundensein bei uns viel weniger stark ausgeprägt, was das Grundbedürfnis des Gebrauchtwerdens noch stärker auf die Ebene des Arbeitsplatzes verlegt.»

Auf einer der Fotografien sieht man zwei Mitglieder des Vereins beim Entsorgen eines Spitalbettes, auf einer anderen wird eine fast schon nicht mehr lebendige Pflanze gegossen. Sind Deine Fotografien gewissermassen als Memento Moris zu verstehen, welche auch auf die Unausweichlichkeit des eigenen Vergehens aufmerksam machen?

GF: «Universelle Lebensfragen, und somit auch der Kreislauf des Lebens, interessieren mich sehr und da wird es natürlich schnell sehr persönlich. Aber ich versuche, diese Themen in meinen Arbeiten mit einer gewissen Distanz zu mir zu bearbeiten. Neben den Fotografien ist auch eine Morsecode-Lampe in der Ausstellung präsent. Sie morst den Text des Alphaville Klassikers «Forever Young», den jeder kennt und in dem, egal wie kitschig er klingt, eben auch wichtige Fragen aufgeworfen werden: Wie lange will man wirklich leben? Kann man ewig jung bleiben? Alter ist ein allgegenwärtiges Thema, auch für mich als Künstlerin. Ganz konkret: Wäre ich über 40 Jahre alt, wäre ich für den Erhalt des Manor-Kunstpreises nicht mehr berechtigt gewesen.»

«Gina Folly. Autofokus», Ausstellungsansicht im Kunstmuseum Basel | Gegenwart, 2023. Für die Werke: © Gina Folly. Foto Ausstellungsansicht: Emanuel Rossetti


Obwohl unsere Bevölkerung immer älter wird, ist Alter gewissermassen ein Tabuthema - auch von Ageism ist die Rede. Wieso interessierst Du Dich für dieses Thema?

GF: «Es geht mir in den Arbeiten nicht um das Thema Älterwerden, sondern um das Bedürfnis gebraucht zu werden. Ich kenne das von mir selber - in verschiedenen Beziehungen: Ich will gebraucht werden und ich brauche Projekte, etwas das mich beschäftigt, um als Künstlerin zu existieren.»

AW: «Ich denke, wir müssen uns als Gesellschaft fragen, was identitätsbildend ist. Und gerade in einer Leistungsgesellschaft wie unserer, ist Identität eben ganz stark an bezahlte Arbeit gebunden. Offen ist nur, wie wir dann mit den Menschen umgehen, die nach der Pension nicht mehr für bezahlte Arbeit gebraucht werden und so teilweise auch wichtige soziale Anknüpfungspunkte verlieren. Eine Strategie, auf diese gegenwärtige Wertestruktur in unserer Gesellschaft zu reagieren, ist es zum Beispiel, sich wie die Vereinsmitglieder wieder in den Arbeitskreislauf einzuspeisen.»

GF: «Diese Dynamik, der Validierung durch Arbeit, ist vor allem in unseren Breitengraden sehr ausgeprägt - und in der Schweiz leben die meisten Menschen in Singlehaushalten. So ist auch das familiäre Eingebundensein bei uns viel weniger stark ausgeprägt, was das Grundbedürfnis des Gebrauchtwerdens noch stärker auf die Ebene des Arbeitsplatzes verlegt.»

Auf einer der Fotografien sieht man zwei Mitglieder des Vereins beim Entsorgen eines Spitalbettes, auf einer anderen wird eine fast schon nicht mehr lebendige Pflanze gegossen. Sind Deine Fotografien gewissermassen als Memento Moris zu verstehen, welche auch auf die Unausweichlichkeit des eigenen Vergehens aufmerksam machen?

GF: «Universelle Lebensfragen, und somit auch der Kreislauf des Lebens, interessieren mich sehr und da wird es natürlich schnell sehr persönlich. Aber ich versuche, diese Themen in meinen Arbeiten mit einer gewissen Distanz zu mir zu bearbeiten. Neben den Fotografien ist auch eine Morsecode-Lampe in der Ausstellung präsent. Sie morst den Text des Alphaville Klassikers «Forever Young», den jeder kennt und in dem, egal wie kitschig er klingt, eben auch wichtige Fragen aufgeworfen werden: Wie lange will man wirklich leben? Kann man ewig jung bleiben? Alter ist ein allgegenwärtiges Thema, auch für mich als Künstlerin. Ganz konkret: Wäre ich über 40 Jahre alt, wäre ich für den Erhalt des Manor-Kunstpreises nicht mehr berechtigt gewesen.»

Das Bild zeigt einen weissen Ausstellungsraum. In der Mitte befinden sich zwei Sitzbänke in heller blauer Farbe mit der Aufschrift Konica. Eine weiblich gelesene Person mit braunen Haaren und Pullover in prallem pink sitzt auf einer der beiden Sitzbänke, ihr linkes Bein über das rechte geschlagen. Sie schaut an die Wand, auf der sich mehrere Fotografien befinden. Die Fotografien zeigen Personen in Alltagssituationen, zum Beispiel in der Küche, beim Putzen oder beim Zusammenbauen von Möbelstücken.
Gina Folly. Autofokus, Ausstellungsansicht im Kunstmuseum Basel | Gegenwart, 2023. © bei der Künstlerin / the artist. Gina Folly, 2023. Foto: Max Ehrengruber


In der Ausstellung sind auch Skulpturen in der Form von Parkbänken zu sehen, die in den Farben und mit den Logos von Fujifilm und anderen Supplieren von analogem Fotografiematerial bestückt sind. Geht es Dir bei dieser Setzung auf das Analoge rein um die Unterstreichung der von dir verwendeten Technik?

GF: «Ich habe eine Lehre als Fotografin gemacht und so sind mir die analoge Fotografie und alle mit ihr verbundenen Arbeitsschritte natürlich sehr nah. Generell fristet die analoge Fotografie mittlerweile eher ein Rentnerinnendasein, denn sie wurde von der digitalen Fotografie abgelöst. Für mich unterstreicht die Setzung des Analogen durch die Bänke aber auch meine Geste als Künstlerin, die für diese Ausstellung mit analoger Fotografie arbeitet: Alle Fotos in der Ausstellung habe ich selbst im Labor entwickelt und vergrössert.»

AW: «Die analoge Fotografie wirkt inzwischen für viele als aus der Zeit gefallen - sowohl ihre Produktion als auch ihre Ästhetik entsprechen nicht mehr unseren aktuellen Gewohnheiten, bei denen alles schnell produziert und schnell konsumiert wird. Man muss sich Zeit nehmen, die hier gezeigten Fotografien von Gina anzuschauen und je länger man sie anschaut, desto reichhaltiger entfalten sie sich vor dem Auge.»


Mit der analogen Fotografie wird insbesondere auch das Genre der Dokumentarfotografie in Verbindung gebracht, das klassischerweise auch immer sozialkritische Komponenten transportiert. Reihen sich Ginas Fotografien in diese Tradition ein?

AW: «Die Qualität, insbesondere der analogen Fotografie, als Zeugin oder als Zeitzeugin ist sicherlich auch in Ginas hier gezeigten Arbeiten vorhanden. Es ist aber nicht zwingend nötig, diese Fotografien in einer historischen Linie zu positionieren. Sie entfalten ihre Berechtigung im jetzigen Moment und funktionieren demnach auch sehr gut ohne fachspezifisches Vorwissen.»


Gibt es die Themen des Gebrauchtwerdens und des Gebrauchtseins historisch gesehen in der Kunst?

AW: «Als mir Gina von ihrer Idee zu den beiden Werkgruppen erzählte, hat mich das Thema sofort angesprochen, weil es gerade jetzt so aktuell ist: Durch die Covid-Pandemie sind die Auswirkungen der Vereinzelung in unserer Gesellschaft sehr prekär hervorgetreten. Eigentlich sind stärkere Eigenständigkeit, Selbstbestimmung, die digitale Vernetzung und die Absicherung im Alter ja als gesellschaftlicher Fortschritt und als Privilegien zu sehen - schlussendlich sind wir aber soziale Wesen und das Bedürfnis des Gebrauchtwerdens war immer schon da und hört nie auf.»


Wisst ihr, wie unterschiedliche Altersgruppen auf die Ausstellung reagieren?

AW: «Tatsächlich stösst die Ausstellung gerade bei den älteren Besuchergruppen auf besonderen Anklang. Ich finde es allgemein toll, wenn diese Ausstellung auch jene Menschen anspricht, die sich sonst vielleicht weniger intensiv mit Gegenwartskunst befassen.»

GF: «Mir ist die Zugänglichkeit meiner Arbeiten extrem wichtig und dass man die Ausstellung auch versteht, ohne ein grösseres Vorwissen zu haben. Das ist für mich als Künstlerin eine grundsätzliche Haltung, um alle Menschen direkt ansprechen zu können.»

Mai 2023

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Gina Folly absolvierte 2014 ihren Master in bildender Kunst an der Zürcher Hochschule der Künste. Von 2013 bis 2020 betrieb sie den Kunstraum Taylor Macklin in Zürich.

Alice Wilke ist Assistenzkuratorin am Kunstmuseum Basel | Gegenwart.

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«It's so hard to get old without a cause» ist ein Zitat aus «Forever Young» von Alphaville.


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